Die Rolle des Berufskollegs im nordrhein-westfälischen Bildungssystem
Rahmenbedingungen: Einflussfaktoren für die Ausgestaltung der Bildungsgänge an Berufskollegs
2.5. Governance-Strukturen
Bei der Entwicklung und dem Angebot von Bildungsgängen ist das Berufskolleg in die politische und rechtliche Gesamtstruktur des Berufsbildungssystems eingebunden. Dies bedeutet für die einzelnen Bildungsgänge unterschiedliche Grade an Gestaltungsfreiheit. So muss das Berufskolleg schulpflichtigen Jugendlichen, die ohne Ausbildungsplatz sind und sich auch nicht in anderen Maßnahmen der Berufsvorbereitung befinden, ein Bildungsangebot bereitstellen. Demgegenüber besteht ein höherer Spielraum etwa mit der Möglichkeit, im regionalen Kontext bestehende Lücken auf dem Ausbildungsmarkt durch schulische Angebote zu kompensieren. Prinzipiell existieren höhere Gestaltungsspielräume bei der Schaffung von Bildungsgängen im Schulberufssystem als bei solchen mit mittelbaren oder unmittelbaren Implikationen für die duale Berufsausbildung.
Das Angebot an dualen Ausbildungsstellen wird durch die Ausbildungsbetriebe bzw. die Wirtschaft definiert. Mit der Schaffung dualer Ausbildungsverhältnisse durch die Betriebe sind die Berufskollegs gehalten, korrespondierende Kapazitäten für die schulische Seite der dualen Ausbildung vorzuhalten. Ein Spannungsfeld im politischen Raum kann entstehen, wenn im Berufskolleg Bildungsgänge entwickelt werden, die aus Sicht der Wirtschaft bzw. der Sozialpartner negativ auf die duale Berufsausbildung einwirken könnten. Das folgende Beispiel soll dieses Spannungsfeld illustrieren.
Obwohl die Bundesländer prinzipiell auch in den Ausbildungsberufen des dualen Systems nach BBiG/HWO über die beruflichen Schulen ausbilden dürfen, wird diese Möglichkeit auch in Zeiten fehlender betrieblicher Ausbildungsplätze i. d. R. sehr zurückhaltend genutzt (für NRW vgl. Abb. 2.4-5). Zum einen ist die Wahrnehmung dieser Möglichkeit bereits an enge Voraussetzungen geknüpft und stellt daher bereits eine Sonderregelung dar. Zum anderen wird insbesondere von Kammer- und Verbandsseite argumentiert, die Schaffung schulbasierter Ausbildungsformen unterhöhle die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und sei daher auch in Zeiten fehlender Ausbildungsplätze sehr restriktiv zu handhaben. Der Vorrang der betrieblichen vor einer vollzeitschulischen Ausbildung in den Ausbildungsgängen nach BBiG/ HWO dürfe nicht erschüttert werden. Die Kontroverse erstreckt sich zum Teil nicht nur auf die Kompensation fehlender betrieblicher Ausbildungsplätze durch schulische Ausbildungsgänge nach BBiG/HWO, sondern umfasst auch vermeintlich mittelbare „Konkurrenzangebote“ in Form von Bildungsgängen in der Berufsfachschule, die zu einem Berufsabschluss nach Landesrecht führen. Diese Bildungsgänge – so die Argumentation – könnten für viele Schulabgängerinnen und -abgänger attraktiver sein und hielten sie von der Wahl offener dualer Ausbildungsstellen ab.