Bildungsbericht Ruhr 2024
Allgemeinbildende Schulen
3. Allgemeinbildende Schulen
Die Metropole Ruhr verfügt über eine breit ausdifferenzierte Bildungslandschaft, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem bei den allgemeinbildenden Schulen relevante Veränderungen erfahren hat. Dabei nehmen die Schüler*innen die Bildungslandschaft des Ruhrgebiets als Ganzes in Anspruch, kommunale Grenzen sind dabei – und dies gilt selbstverständlich insbesondere für die Berufs- und Weiterbildungskollegs, aber auch für Förderschulen – nicht die Zäsuren aus der Sicht der Bildungsnachfragenden. Wie im Kapitel 1 zu den allgemeinen Rahmenbedingungen dargestellt, ist die wirtschaftliche und soziale Lage vieler Familien durch hohe Armutsquoten in Ruhrgebiet prekär. Diese Situation setzt die Kommunen neben ihren vielfältigen und gewachsenen Aufgaben (z. B. im Bereich der baulichen Infrastruktur, Digitalisierung, Ganztagsausbau, Schulsozialarbeit sowie der Unterstützung neuer Programme wie dem Startchancen-Programm) zusätzlich unter Druck. Die strukturellen und pädagogischen Rahmenbedingungen für diese Schullandschaft werden landesweit vorgegeben und durch die Schulaufsicht mitgestaltet. Bei der Auslegung von Vorgaben und Richtlinien haben die Kommunen und Kreise Entscheidungsbefugnisse bzw. Gestaltungsspielräume, z. B. bezüglich der Schulformen, die sie einrichten, aber auch bei möglichen Kosten (z. B. im Rahmen von OGS-Angeboten) oder zusätzlichen Bildungsinvestitionen und bei der Frage der Kohärenz der Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen, die Verantwortung für die Bildungsprozesse in der Kommune tragen. So ist z. B. die Förderschullandschaft in den Kommunen der Metropole Ruhr ausgesprochen heterogen. Das ist die Folge der NRW-weiten Option, Verbundschulen zu bilden, in denen zwei oder drei Schwerpunkte aus dem Spektrum der Lern- und Entwicklungsstörungen abgedeckt werden. Neben Kommunen, die vorrangig das Modell der Verbundschule umsetzen, bieten andere Mischformen an oder priorisieren ein nach Förderschwerpunkten ausdifferenziertes Modell.
Ein erster zentraler Faktor für die Gestaltungsmöglichkeiten pädagogischer Praxis an der Einzelschule ist die Nachfrageseite, also die Anzahl der Bildung nachfragenden Schüler*innen. In Abhängigkeit davon bestimmen sich – im Rahmen des vorhandenen Schulbestands – Lerngruppenanzahl und -größen im Abstimmungsfeld zwischen kommunalen und schulaufsichtlichen Maßgaben. Ein zweiter wichtiger Faktor für schulisches pädagogisches Handeln sind sozial deprivierte Lagen im Umfeld von Schulen, die nachweislich das Lernen wie das Lehren vor besondere Herausforderungen stellen und vor allem im mittleren Ruhrgebiet eher die Normalität als eine Ausnahme darstellen. Ein dritter, ebenso wichtiger Faktor betrifft das pädagogische Personal. NRW verfügt neben einem großen Mangel an pädagogischem Personal für die frühkindliche Bildung (vgl. Kapitel 2) über einen gravierenden und Restriktionen verursachenden Lehrkräftemangel insbesondere in den Grundschulen, der auch durch entsprechende Maßnahmen des MSB nur geringfügig abgemildert werden kann. Dieser Mangel betrifft das Ruhrgebiet stärker als andere Regionen des Landes, nicht zuletzt, weil es insbesondere Schulen in sozial deprivierten Lagen sind, an denen dieser besonders stark ausgeprägt ist.
Durch die Rückkehr zur G9 droht zudem eine weitere Verschärfung der Personalsituation, da rund 3.000 Lehrkräfte, die bislang an Grund-, Gesamt- und Realschulen in sogenannten Vorgriffsstellen eingesetzt werden, an den Gymnasien benötigt werden.
Zugleich zeigen regionale (Grommé et al., 2023a, 2023b; Nonte et al., 2023; Reintjes et al., 2021) und überregionale Studien (Andresen et al., 2022; Budde et al., 2022; Ludewig et al., 2022; Ravens-Sieberer et al., 2022; Reiß et al., 2023) zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und der damit verbundenen schulischen Maßnahmen, dass Kinder und Jugendliche davon in besonderer Weise betroffen waren. Ein gravierender Einschnitt ist dabei das Fernbleiben vom schulischen Unterricht. Obgleich Grundschüler*innen in regionalen Studien besonders hohe Werte in den verschiedenen Wohlbefindensdimensionen aufweisen, so ist die Anzahl an Grundschüler*innen, die angeben, schlecht bis sehr schlecht mit einem fehlenden Zugang zur Schule zurechtzukommen, ebenfalls sehr hoch. Anhand der für Mülheim an der Ruhr erhobenen Daten der SchuCo-Studie wird zudem deutlich, dass Grundschüler*innen seltener geimpft sind und sich entsprechend häufiger in Quarantäne/Isolation begeben mussten als Gymnasiast*innen und Gesamtschüler*innen. Erneut wird in der Studie deutlich, dass die Herkunft von Kindern und Jugendlichen nicht nur direkt, etwa durch verfügbare Ressourcen zum Lernen sowie durch das Beherrschen der deutschen Sprache, im Zusammenhang mit dem Lernerfolg steht, sondern darüber hinaus auch indirekt, etwa durch einen signifikanten Zusammenhang zwischen Impfquote und der daraus resultierenden Anzahl an Fehltagen in der Schule. Die während der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen haben zu tiefgreifenden Veränderungen im schulischen Kontext sowie der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen geführt. Infolge der Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen zeigen sich Lernrückstände, aber auch Belastungen der mentalen Gesundheit.