Bildungsbericht Ruhr 2024

Allgemeinbildende Schulen

Prof. Dr. Gabriele Bellenberg
Prof. Dr. Christian Reintjes

3.5. Kognitive Kompetenzen

Bildungsmonitoring möchte Aussagen über die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems machen. Dafür nimmt es nicht nur Infrastruktur und Teilhabe in den Blick, sondern auch die Wirkung von Bildungsprozessen. Im nachfolgenden Abschnitt werden die sog. Vergleichsarbeiten (VERA)VERA steht für VERgleichsArbeiten, die in den Jahrgangsstufen 3 und 8 (VERA 3 und VERA 8) durchgeführt werden. Die landesweiten Vergleichsarbeiten sind Teil der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Bildungsmonitoring, die 2006 verabschiedet und 2015 überarbeitet wurde. VERA-Tests dienen der Erhebung von Kompetenzen der Schüler*innen in zentralen Fächern wie Deutsch und Mathematik und sind bundesweit verpflichtend. Sie ergänzen nationale und internationale Schulleistungsstudien und bieten eine wichtige Grundlage zur Qualitätsentwicklung und Vergleichbarkeit des schulischen Lernstands zwischen den Bundesländern.VERA-Daten erstmals regional vorgestellt*Die Auswertungen erfolgten unter Mitarbeit von Dr. Till Kaiser (Universität Osnabrück).. Im Gegensatz zu Daten über die Vergabe von Schulabschlüssen (siehe Kapitel 3.6), welche (erfolgreiche) Zertifizierungen beschreiben, geben die VERA-Daten Auskunft über den fachlichen Kompetenzerwerb in Klasse 3, d. h. ein Jahr vor dem Übergang zur weiterführenden Schule, sowie in Klasse 8, d. h. zwei Jahre vor Abschluss der Sekundarstufe I. Im Fokus der VERA-Auswertungen für die Metropole Ruhr stehen Daten aus den VERA-Testungen im Schuljahr 2022/23. Präsentiert werden jeweils der Vergleich zwischen den Regionen Metropole Ruhr (MR), Rheinland und Westfalen sowie innerhalb des Ruhrgebietes nach Städten und Kreisen.

Je nachdem, wo die Daten in den Blick genommen werden, ist die Perspektive eine andere: Auf Bundesebene geben die Daten Auskunft über das Erreichen bzw. Verfehlen von Mindeststandards (-> Leistungsfähigkeit, Systemmonitoring; Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)Das IQB ist eine wissenschaftliche Einrichtung in Deutschland, gegründet 2004. Es unterstützt die Sicherung und Verbesserung der Schulqualität durch Entwicklung, Durchführung und Auswertung von Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten. Das IQB arbeitet eng mit den Kultusministerien der Länder zusammen und etabliert bundesweit vergleichbare Bildungsstandards in Fächern wie Mathematik, Deutsch und Naturwissenschaften.IQB-Bildungstrend); auf Landes-, Schul- und Klassenebene dienen sie als Grundlage für Schulsystem-, Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse. Die NRW-Auswertungen der VERA-Erhebungen werden jährlich für die Klassenstufen 3 und 8 durch die QUA-LiS veröffentlicht [Infos dazu: Ergebnisberichte VERA 3 und Ergebnisberichte VERA 8]. Die Landesergebnisse für VERA 3 werden nach Geschlecht und StandorttypenSchwierige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen im Einzugsbereich von Schulen haben, über die individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler*innen hinaus, eine substanzielle Bedeutung für die Erklärung von Leistungsunterschieden zwischen Schulen. Bedeutsam für diese Rahmenbedingungen sind verschiedene Faktoren im Schulumfeld wie der Anteil der Arbeitslosen, Empfänger von Sozialhilfeleistungen (SGB II) oder der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Einen relevanten Schätzer für diese Situation liefert in NRW das Standorttypenkonzept für den fairen Vergleich bei den Lernstandserhebungen (Isaac, 2011).
Seit 2011 erfolgt die Zuordnung der Standorttypen vom Schulministerium zentral für alle weiterführenden Schulen auf Basis von Daten der amtlichen Statistik. Jede Schule wird einem von fünf Standorttypen zugeordnet, die im Unterschied zum bisherigen Konzept nun schulformübergreifend definiert sind. Schulen, die dem Typ 1 zugewiesen wurden, befinden sich in einer Umgebung mit einem niedrigen Anteil von Empfänger*innen staatlicher Sozialhilfeleistungen, Arbeitslosen beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund, während sich die Schulstandorte des Typs 5 in einer Lage mit eher schwierigen sozialen kulturellen Rahmenbedingungen befinden.
Standorttypen
deskriptiv berichtet. Die Ergebnisse für VERA 8 werden nach eingesetzten Testheftvarianten berichtet, die keine schulformspezifische Betrachtung für nicht gymnasiale Schulformen ermöglichen.

IQB-Bildungstrend

Primarstufe

Für die Primarstufe wurde im IQB-Bildungstrend 2021 das Erreichen der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) für den Primarbereich in den Fächern Deutsch und Mathematik überprüft.

  • Im Fach Deutsch erreichen oder übertreffen im Jahr 2021 bundesweit im Bereich Lesen knapp 58 %, im Bereich Zuhören etwa 59 % und im Bereich Orthografie gut 44 % der Viertklässler*innen den Regelstandard. Den Mindeststandard verfehlen in diesen Kompetenzbereichen bundesweit fast 19 %, gut 18 % bzw. rund 30 % der Schüler*innen (NRW: Lesen 22 %, Zuhören 23 % und Orthografie 33 %).
  • Im Fach Mathematik (Globalskala) erreichen oder übertreffen den KMK-Regelstandard in Deutschland insgesamt fast 55 % der Schüler*innen, und rund 22 % verfehlen den Mindeststandard (NRW: 28 %).

Sekundarstufe

Für die Sekundarstufe hat der IQB-Bildungstrend 2022 untersucht, inwieweit Schüler*innen der 9. Jahrgangsstufe die bundesweit geltenden Bildungsstandards in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch in der Sekundarstufe I erreichen (Stanat et al., 2023). Es werden fünf bis sieben Kompetenzstufen unterschieden, wobei folgende Aspekte über alle Domänen identisch sind:

KS 1: unter dem Mindeststandard

S 2: Mindeststandard

KS 3: Regelstandard

  • Bundesweit wird beim Lesen der Mindeststandard für den Mittleren Schulabschluss (MSA) von 32,5 % der Neuntklässler* innen nicht erreicht (NRW: 38,5 %).
  • Den MSA-Mindeststandard im Bereich Leseverstehen in Englisch verfehlen bundesweit 24,1 % der Neuntklässler*innen (NRW: 27,7 %).

Was die genannten Zahlen bedeuten, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Basiskompetenzen Voraussetzung für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und für die aktive ökonomische, politische und kulturelle Partizipation an der Gesellschaft sein sollen. Demnach besteht – je nach Kompetenzbereich – für 25 % bis 30 % der Schüler*innen ein akutes Risiko, den Anschluss an weiteres schulisches Lernen zu verpassen und damit ihre Chancen auf eine selbstständige Gestaltung ihres Lebens und ihrer Teilhabe erheblich zu mindern (vgl. Kuper, 2023). Konkret bedeutet das: Das Ziel eines teilhabegerechten Bildungssystems wird gegenwärtig bundesweit in dramatischem Ausmaß verfehlt.

Die erstmals für das regionale Bildungsmonitoring zur Verfügung gestellten VERA-Daten sind von großem Wert, da sie die kontextabhängige Leistungsfähigkeit der Metropole Ruhr sichtbar machen. Wir bedanken uns ausdrücklich beim Ministerium für Schule und Bildung sowie bei der QUA-LiS für die uns zur Verfügung gestellten Daten. Dabei ist es möglich, nicht nur die Kreise und kreisfreien Städte miteinander zu vergleichen, sondern – auf der Grundlage des bundesweiten Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)Das IQB ist eine wissenschaftliche Einrichtung in Deutschland, gegründet 2004. Es unterstützt die Sicherung und Verbesserung der Schulqualität durch Entwicklung, Durchführung und Auswertung von Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten. Das IQB arbeitet eng mit den Kultusministerien der Länder zusammen und etabliert bundesweit vergleichbare Bildungsstandards in Fächern wie Mathematik, Deutsch und Naturwissenschaften.IQB-Bildungstrends – ebenso das Ruhrgebiet insgesamt zum übrigen NRW und dem Bund in Relation zu setzen.

Dies strukturiert die nachfolgenden Abschnitte: Die Daten für das Ruhrgebiet werden mithilfe der Ergebnisse auf Bundes- und Landesebene eingeordnet, und zwar zuerst für die Primarstufe (Klassenstufe 3; Deutsch und Mathematik) und dann für die Sekundarstufe (Klassenstufe 8 bezogen auf Schulabschlüsse) (Kapitel 3.5.1).

VERA-Daten

Auf der Landesebene fungieren die Vergleichsarbeiten (VERA 3 bzw. VERA 8) als systematisches Diagnoseinstrument. Sie stellen eine wichtige Grundlage für eine evidenzbasierte Unterrichtsentwicklung dar. Lehrer*innen erhalten Informationen, über welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten die Schüler*innen einer Klasse im Hinblick auf die fachlichen Anforderungen der nationalen Bildungsstandards am Ende der jeweiligen Bildungsgänge der Sekundarstufe I in den zentralen Fächern Deutsch, Mathematik, den Fremdsprachen und der Lehrpläne verfügen.

Die Bestimmung von Kompetenzstufen erfolgt über wissenschaftlich abgesicherte Testverfahren und Aufgaben, die komplexe Kompetenzen wie Leseverständnis oder Problemlösefähigkeit sicht- und messbar machen. Aus dem Antwortverhalten der Schüler*innen lassen sich Fähigkeitswerte für die einzelnen Schüler*innen bestimmen. Um das Testergebnis für die Adressaten an den Schulen (u. a. Fachkonferenzen) interpretierbar zu machen, wird unter Berücksichtigung von kognitiven Anforderungen der Aufgaben, der notwendigen Lösungsstrategien und der Vorkenntnisse das Kontinuum der Fähigkeitswerte in fachlich beschreibbare Abschnitte unterteilt, die als Kompetenzstufen bezeichnet werden. Die Anforderungen dieser Stufen können genau beschrieben werden. Schüler*innen, die die Anforderungen einer bestimmten Kompetenzstufe erfüllen, können hinreichend sicher Testaufgaben des entsprechenden Schwierigkeitsbereichs bewältigen. Sie verfügen auch über die Kompetenzen der darunterliegenden Stufen.

Liegen für Schüler*innen keine oder unvollständige Daten vor, ist eine Zuordnung zu den beschriebenen Kompetenzstufen nicht möglich. Dies wird als „kein hinreichender Nachweis für das Erreichen einer Kompetenzstufe“ (k. h. N.) bezeichnet, d. h. in diesem Bereich wurden in der Regel nur vereinzelt Aufgaben gelöst. Die insgesamt geringe Anzahl der gelösten Aufgaben ermöglicht es in diesen Fällen jedoch nicht, den Schüler*innen mit hinreichender Sicherheit einer Kompetenzstufe zuzuordnen.

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