Bildungsbericht Ruhr 2024

Zusammenfassung


Zuwanderung

Die drei Bildungsberichte für das Ruhrgebiet zeigen, dass die Herausforderungen im Bildungssystem vor allem struktureller Natur sind: ein unzureichend finanziertes und unflexibles Bildungssystem, Investitions- und Modernisierungsstau, mittlerweile zudem ein gravierender Mangel an pädagogischem Fachpersonal. Zugewanderte Kinder und Jugendliche sind oftmals die Leidtragenden dieser Defizite. Eine gezielte Unterstützung beim Erwerb der deutschen Sprache und Sprachbildung entlang der gesamten Bildungskette sind deshalb unverzichtbar. Die Integration zugewanderter Kinder und Jugendlicher bietet die Chance, das Bildungssystem inklusiver zu gestalten und langfristig insgesamt zu stabilisieren.

Armut und Segregation

Das Ruhrgebiet hat den größten Anteil von Eltern ohne beruflichen Abschluss, eine anhaltend hohe Langzeitarbeitslosigkeit und mit den höchsten Anteil an Sozialleistungsbeziehenden. Daraus resultiert eine sehr hohe Kinderarmutsquote. Die von Armut betroffenen Haushalte konzentrieren sich immer noch in erster Linie in den ehemaligen Arbeitervierteln der Region. Die Konzentration der Problemlagen in diesen sozial, ethnisch und demografisch segregierten Quartieren hat dabei noch einmal einen eigenen negativen Einfluss auf die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen und stellt eine besonders große Herausforderung dar.

Im Ruhrgebiet liegen große Hoffnungen auf dem gerade angelaufenen und bundesweit mit 20 Milliarden Euro ausgestatteten Startchancen-Programm, das Schulen in herausfordernden Lagen in der nächsten Dekade systematisch unterstützen soll und damit antritt, Ungleiches ungleich zu behandeln. Dieser Ansatz ist richtig und vielversprechend. Derzeit sind bereits 171 Schulen aus dem Ruhrgebiet beteiligt, insgesamt werden es ungefähr 400 sein. Eine Konzentration auf Schule allein wird jedoch nicht ausreichend sein und sollte ferner durch einen ähnlichen strategischen Investitionsansatz im frühkindlichen Bereich ergänzt werden, der Kindertageseinrichtungen wie Kindertagespflege in herausfordernden Lagen stärkt.

Die bisherigen Maßnahmen reichen aber bei Weitem nicht aus, wenn man nicht nur Symptome, sondern Ursachen bekämpfen will. Bildungspolitik muss eingebettet sein in Maßnahmen der integrierten Quartiersentwicklung. Die Vernetzung von Bildungsinstitutionen im und mit dem Sozialraum wird in Zukunft gerade im Ruhrgebiet von großer Bedeutung sein.

Niedrige Frauenbeschäftigungsquote

Dass sich die Frauenbeschäftigungsquote in den vergangenen Jahren etwas verbessert hat, sollte darin bestärken, die Bemühungen zu intensivieren, mehr Frauen den Weg ins Erwerbsleben zu ermöglichen. Das Thema ist eng mit den Themen Armut und wirtschaftliche Entwicklung verzahnt – aber auch mit den Betreuungsangeboten für Kinder: Frauen, die nicht erwerbstätig sind, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt. Das gilt insbesondere für Alleinerziehende. Häufig sind es fehlende Betreuungsangebote in der frühen Bildung oder in der Grundschule, die den Wechsel ins Erwerbsleben erschweren. Der Ausbau der frühkindlichen Bildung ist nicht nur mit Blick auf die Bildungsteilhabe von Kindern dringend erforderlich; er ist zugleich eine wichtige Investition in eine höhere Frauenerwerbsquote und damit auch gegen den Fachkräftemangel und in die wirtschaftliche Entwicklung.

Diversität

Die Diversität im Ruhrgebiet, d. h. die Vielfalt von Merkmalen, Eigenschaften und Hintergründen von Menschen in der Gesellschaft, hat in den vergangenen Jahren im Bildungssystem zugenommen. Aber auch das Bewusstsein für Diversität ist gestiegen. Diversität wird inzwischen stärker als Potenzial für die Entwicklung des Ruhrgebiets gesehen und wertgeschätzt, und kaum ein anderes Thema ist stärker mit dem Begriff der Chancengerechtigkeit verbunden.

Der Diversität im Bildungssystem gerecht zu werden, bleibt jedoch eine kontinuierliche Aufgabe, die sich in jedem Bildungsabschnitt u. U. in anderer Weise stellt. Entsprechend existiert eine Vielzahl an diesbezüglichen Konzepten und Maßnahmen. In den frühen Bildungsabschnitten können dabei z. B. Ansätze zur Bildungspartnerschaft mit Eltern, armuts- und sprachsensible didaktische Konzepte oder Familienzentren und Familiengrundschulzentren gehören, deren Angebote in das Quartier wirken. Auch Weiterbildungsangebote für Erzieher*innen und Lehrkräfte sind hier wichtig. Beim Übergang in die berufliche oder akademische Bildung stellen sich andere Herausforderungen, beispielsweise durch die inzwischen zahlreichen Wege, auf denen sich Studieninteressierte für ein Studium qualifizieren können. Die Hochschulen arbeiten nicht nur an fachdidaktischen Konzepten, um dieser Vielfalt gerecht zu werden, sondern auch an Konzepten zur Förderung der akademischen und sozialen Integration. Diese Bemühungen weiter voranzutreiben, wird eine wichtige Aufgabe bleiben.

Digitalisierung

Das Thema Digitalisierung war für den vorliegenden Bericht präsent, aber datenseitig schwer erfassbar. Dabei ist Digitalisierung eines der Megathemen der Bildung, das viele Facetten hat und spätestens seit Corona und auch neuerdings unter dem Eindruck der rasanten Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz anders diskutiert wird. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Ausstattung von Bildungseinrichtungen und der Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit Hardware und Software. Es fehlt weiterhin an qualitativ hochwertigen didaktischen Konzepten zum Einsatz dieser Technologien. Weiterhin kann die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen in Bildungseinrichtungen Freiräume und Entlastung hinsichtlich des Fachkräftemangels schaffen. Das Thema KI hat dabei noch einmal einen Sonderstatus.

Neben Fragen der Bewertung des KI-Einsatzes gibt es auch große Schnittmengen zu anderen digitalen Themenkomplexen: Wie kann eine Hochschule beispielsweise eine Infrastruktur zur Nutzung von KI durch ihr Lehrpersonal, ihre Studierenden und ihre Verwaltung anbieten, ohne sich abhängig zu machen oder die eigene Datensouveränität, den Datenschutz oder die Datensicherheit zu gefährden? Dass Letzteres ein wichtiges Thema für einen leistungsfähigen Hochschulbetrieb ist, haben die erfolgreichen Hackerangriffe auf die Ruhrgebietshochschulen in den letzten Jahren gezeigt. Diese Themen werden an vielen Stellen diskutiert und angegangen. Auf der Hochschulebene ist hier beispielsweise die digitale Hochschule NRW zu nennen.

Bei all den Facetten des Themas, bei all den Gefahren und Unwägbarkeiten der Entwicklung, den hohen Kosten sowie bei all den ungeklärten rechtlichen, didaktischen und auch ethischen Aspekten: Die Fähigkeit des Bildungssystems, sich die enormen Potenziale der Digitalisierung zu erschließen und neue Technologien sinnvoll zu adaptieren und wirksam zu vermitteln, ist ein zentraler Faktor, wenn es um die Zukunft der Region geht. Deshalb müssen diese Fragen mit hoher Priorität angegangen werden.

Klimawandel und nachhaltige Entwicklung

Ein Thema fehlte bislang, obwohl es von den gesellschaftsrelevanten Entwicklungen mit das Bedeutendste ist: Kaum etwas wird das Leben der gegenwärtigen und kommenden Generationen so beeinflussen wie die immer deutlicher spürbar werdenden Folgen der Klimaerwärmung und ihre Implikationen für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Angesichts der säkularen Tragweite des Themas können wir nicht energisch genug darin sein, entlang der gesamten Bildungsbiografie Menschen darin zu befähigen, Problemlösungskompetenzen zu entwickeln, um die mit den Folgen des Klimawandels verbundenen komplexen Herausforderungen bewältigen zu können. Die Entwicklung qualitativ hochwertiger didaktischer Konzepte und Angebote in der schulischen wie außerschulischen Bildung für nachhaltige Entwicklung verdient deshalb eine deutlich höhere Priorisierung, als dies bislang der Fall ist.

Perspektiven

Die Entwicklungen in Teilen des Bildungssystems im Ruhrgebiet waren in den letzten vier Jahren und sind aktuell außerordentlich krisenhaft. Die Herausforderungen sind größer geworden, und neue Themen sind hinzugekommen. Die Handlungsspielräume vieler Akteure sind nach wie vor eng.

Trotzdem kann es gelingen, die zahlreichen Herausforderungen im Schulterschluss der Akteure zu bewältigen. Zunächst einmal ist es wichtig, dass der Zustand des Bildungssystems bundesweit zu einem wichtigen Thema des öffentlichen Diskurses geworden ist und damit auch eine erhöhte Aufmerksamkeit durch die Politik erfährt. Die Entwicklung des Startchancen-Programms ist bereits eine positive Folge davon. In den nächsten Jahren wird wichtig sein, dass alle Beteiligten es zu einem Erfolg machen. Dazu gehört auch sicherzustellen, dass arme Kommunen bei gegebenen hohen Eigenbeteiligungsbedingungen in Teilen des Programms die Fördermittel auch tatsächlich abrufen können.

Das Ruhrgebiet muss seine Potenziale besser aktivieren und nutzen. Es ist eine dynamische Region mit einem großen Arbeitskräftepotenzial und einer wachsenden Bevölkerung. Es hat eine der dichtesten Hochschullandschaften Europas und vielfältige Betriebe mit großen Kapazitäten für die duale Ausbildung in den am dringendsten benötigten Fachrichtungen. Zugleich ist es eine der am weitesten entwickelten und am dichtesten vernetzten Bildungslandschaften in Deutschland. Etablierte Kooperationsstrukturen können Synergieeffekte schaffen und helfen, fehlende Ressourcen zumindest teilweise zu kompensieren. Es sind alle Akteure in der Region gefragt, wenn es darum geht, Bildung für Kinder und Jugendliche besser zu machen.

Helfen kann bei dieser Aufgabe auch das Wissen darüber, was wirkt. Für derartiges Wissen braucht es den Zugang zu aussagekräftigen Daten. Hier ließe sich die Datenlage und das Erkenntnispotenzial von Informationen über das Bildungsgeschehen noch erheblich verbessern. Wichtig sind hier insbesondere individuelle Längsschnittdaten, um aus Bildungsverläufen lernen zu können. Glücklicherweise scheint die amtliche Schulstatistik sich in diese Richtung zu bewegen. Bezüglich des Zugangs zu diesen Daten wäre es wichtig, neben der klassischen wissenschaftlichen Forschung auch das Bildungsmonitoring als wichtige Aufgabe anzuerkennen damit wertzuschätzen.

Ein leistungsfähigeres und chancengerechteres Bildungssystem ist wesentlich für die Zukunftsfähigkeit des Ruhrgebiets. Das erfordert Mut, strukturelle Probleme weiterhin entschlossen anzugehen und gleichzeitig die Potenziale der Region zu nutzen. Packen wir’s gemeinsam an – für eine exzellente Bildungsregion Ruhr.

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