Bildungsbericht Ruhr 2024
Zusammenfassung
8.9. Übergreifende Handlungsempfehlungen
Insgesamt zeigt der Bildungsbericht, dass sich problematische Tendenzen in vielen der aufgeführten Themenfelder nicht nur verfestigt, sondern weiter verschärft haben. Insbesondere Entwicklungen in den Bereichen der frühen Bildung und der Schulbildung in Bezug auf die Bildungsbeteiligung und den Kompetenzerwerb geben Anlass zu großer Sorge und sind teils als dramatisch zu beurteilen. Sie markieren deutlich einen großen Handlungsbedarf mit dringender Priorität.
Viele dieser Herausforderungen lassen sich nur durch sektor-, kommunen- und organisationsübergreifende Kooperation und Kollaboration bewältigen, denn die Gestaltung gerechter Bildungschancen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Bildungsbericht möchte den Dialog zwischen Akteuren sowohl in seinem Entstehungsprozess als auch in seinem Ergebnis unterstützen, um gemeinsames Wirken zu fördern und gemeinsame Lösungen zu finden. Er kann als Ausgangspunkt für kooperative Strategien oder für vertiefende Analysen dienen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit den alarmierenden Ergebnissen auf Landes-, regionaler und kommunaler Ebene ist unumgänglich. Vor dem Hintergrund der herausfordernden gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen steht der gesellschaftliche Zusammenhalt, die Innovationskraft sowie die wirtschaftliche Zukunft des Ruhrgebiets – und damit von NRW insgesamt – auf dem Spiel. Zentrale Stellschrauben für gemeinsames Handeln zeigen sich aufbauend auf den Ergebnissen des vorliegenden Bildungsberichts an folgenden Stellen:
Stärkung des Übergangsmanagements und der Basiskompetenzen
Im Ruhrgebiet sollte die Sicherung von Basiskompetenzen aller Kinder und Jugendlichen sowie die Gestaltung der Übergänge zwischen den Bildungsbereichen bspw. durch multiprofessionelle Teams das oberste strategische Ziel sein. Dafür muss ein hohes Commitment aller Akteure mit der Bereitschaft entwickelt werden, entsprechende Prioritäten beim Einsatz der knappen Ressourcen zu setzen. Verantwortliche im Mehrebenensystem mit Zuständigkeiten für die inneren und äußeren Schulangelegenheiten sind aufgefordert, hier an einem Strang zu ziehen. Auch die Kommunen sollten diese Zielsetzung als zentrale Prämisse in ihrer Schulentwicklungsplanung verankern und in ihrer Bildungsregion als strategisches Ziel aller Akteure einfordern und unterstützen. Es bedarf dazu auch einer besseren Übersetzungsleistung zwischen den Bildungssystemen.
Eine große Chance für eine solche konzertierte Aktion zur Verbesserung der Bildungsergebnisse bietet im kommenden Jahrzehnt das gemeinsame Startchancen-Programm von Bund und Ländern. Gut 40 % der Startchancenschulen liegen in der Metropole Ruhr.
Bildungsteilhabe der Drei- bis Sechsjährigen stärken
Eine Verbesserung der Bildungsergebnisse und ein Erfolg des Startchancen-Programms werden allerdings kaum zu erreichen sein, wenn die stagnierende und bei der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen sehr negative Entwicklung der Bildungsbeteiligung nicht gestoppt und korrigiert wird.
Der Ausbau der Infrastruktur frühkindlicher Bildung und Betreuung muss deshalb fortgesetzt und intensiviert werden. Unübersehbar müssen dafür auch landespolitische Rahmenbedingungen verbessert werden.
Dass aktuell zu viele Kinder auch im Jahr vor der Einschulung keinen Betreuungsplatz haben, darf nicht hingenommen werden. Hier sind praktikable und schnell zu realisierende Maßnahmen durch ein Sofortprogramm einzuleiten, das gemeinsam von Kommunen, freien Trägern und mit Unterstützung des Landes entwickelt und umgesetzt werden muss. Dafür gibt es Beispiele mit sogenannten Brückengruppen, die im Zusammenwirken von Trägern des offenen Ganztags, Kommunen und Schulen eingerichtet wurden.
Über die quantitative Dimension hinaus muss es auch qualitativ eine Stärkung der frühkindlichen Bildung geben, um Vorläuferfähigkeiten und soziale Kompetenzen zu entfalten. Die Kitas und auch die Kindertagespflege sind durch ein hohes Maß an familiärer, ethnischer und sprachlicher Diversität geprägt. Das erfordert hochdifferenzierte pädagogische Konzepte der frühkindlichen Bildung und nicht zuletzt ein systematisches Konzept und Standards für die Sprachbildung, die Grundlagen der Bildungsarbeit und Bildungspläne in der pluralen Trägerlandschaft werden. Das Ruhrgebiet könnte hier durch einen regionalen Konsens und gemeinsamen Praxisrahmen zum Vorreiter werden. Das erfordert eine Einbeziehung der und intensive Kooperation mit den freien und kirchlichen Trägern, neben der kommunalen auch auf regionaler Ebene. Diese Kooperation empfiehlt sich auch, um das Potenzial der Ganztagsangebote zur sozialen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und deren Kompetenzerwerb besser zu mobilisieren.
Resilienz gegenüber gesellschaftlichen Herausforderungen und Veränderungen entwickeln
Kommunen und das Land müssen flexibler auf Schwankungen der demografischen Entwicklung reagieren können als bisher und vorausschauender planen. Konzepte wie „atmende Schulen“ und ebenso „atmende Kitas“, bei denen Kapazitäten flexibel an steigende oder sinkende Schüler*innenzahlen angepasst werden, können in diesem Kontext an Bedeutung gewinnen. Weiterhin muss die Bildungsfinanzierung bspw. über den schulscharfen Sozialindex die sozialen Herausforderungen stärker berücksichtigen und diese Schulen gezielter fördern. Bei den Kitas ist zu prüfen, ob eine größere Flexibilität im Hinblick auf das Verhältnis von U3- und Ü3-Plätzen realisiert werden und durch Anpassung rechtlicher Vorgaben und Finanzierungsregeln seitens des Landes gefördert werden kann.
Fachkräfte stärken und dem Fachkräftemangel gezielt begegnen
Der Fachkräftemangel stellt entlang der gesamten Bildungskette einen Engpass beim Ausbau der Bildungsbeteiligung und der Qualität des Angebots dar. Hier sollte geprüft werden, ob die Möglichkeiten einer regionalen und interkommunalen Zusammenarbeit bei den sozialpädagogischen Ausbildungskapazitäten sowie bei der Gewinnung, Begleitung und Unterstützung von weiterem Personal und Quereinsteiger*innen ausgebaut werden können. Darüber hinaus bedarf es einer gemeinsamen Strategie, um pädagogisches Personal und Lehrkräfte insbesondere für Bildungsinstitutionen in herausfordernden Lagen zu gewinnen.