Bildungsbericht Ruhr 2024
Außerschulische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung
7.4. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) – Befragungsergebnisse
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bezeichnet ein Bildungskonzept, das Menschen dazu befähigen soll, zukunftsfähig zu denken und verantwortungsbewusst zu handeln. Es ist eng mit der der Vereinten Nationen und den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, Agenda 2030) verknüpft (Vereinte Nationen, 2015). BNE zielt darauf ab, Lernende zu befähigen, globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit, soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung zu erkennen und Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei sollen ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit in den Lernprozessen berücksichtigt und gefördert werden. Das Konzept ist nicht auf den schulischen Kontext beschränkt, sondern bezieht auch außerschulische Bildungsformate ein, um nachhaltiges Denken und Handeln in allen Altersgruppen zu fördern (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). SDGs
BNE ist in Deutschland sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene verankert und wird durch verschiedene Programme und Netzwerke gefördert. Auf nationaler Ebene geschieht das durch die Deutsche UNESCO-Kommission und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die BNE-Strategie Deutschlands orientiert sich an den globalen Vorgaben der Vereinten Nationen, insbesondere an der Agenda 2030 und den SDGs. Ziel ist es, Bildung für nachhaltige Entwicklung langfristig strukturell in der deutschen Bildungslandschaft zu verankern. (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). Außerschulischer bzw. nonformaler und informeller Bildung wird dabei ein hoher Stellenwert eingeräumt. Als Teil des Nationalen Aktionsplans BNE wurde 2015 die Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung gegründet. Ihr gehören Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an, die gemeinsam BNE in allen Bildungsbereichen verankern sollen (frühkindliche Bildung, Schule, Hochschule, berufliche Bildung und außerschulische Bildung) (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). Daneben gibt es Fachforen, die spezifische Bildungsbereiche (z. B. Schule, berufliche Bildung) abdecken. Partnernetzwerke tragen zur Vernetzung und Implementierung der BNE in verschiedenen Bildungsinstitutionen bei.
In Nordrhein-Westfalen wird BNE durch verschiedene Programme und Netzwerke unterstützt: BNE ist Teil der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes NRW, die das Ziel verfolgt, Bildung und nachhaltige Entwicklung in allen Bildungseinrichtungen zu verankern und nachhaltige Entwicklung in Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft zu fördern (Land NRW, 2016; Land NRW, 2020). Die BNE-Agentur NRW, angesiedelt bei der Natur- und Umweltschutz-Akademie NRW (NUA), unterstützt die Umsetzung der BNE-Strategie in NRW. Sie koordiniert landesweite BNE-Projekte, bietet Fortbildungen an und arbeitet mit Schulen, Hochschulen und außerschulischen Lernorten zusammen. Die BNE-Agentur ist ein zentraler Ansprechpartner bei der Vernetzung und Förderung der BNE in Nordrhein-Westfalen sowie Ansprechpartner beim Zertifizierungsverfahren für außerschulische Bildungsanbieter, die sich aktiv mit BNE beschäftigen. Diese Zertifizierung dient der Qualitätssicherung und der Anerkennung von Bildungseinrichtungen, die BNE in ihren Programmen umsetzen. Schließlich gibt es noch die regionalen BNE-Netzwerke: Viele Städte und Regionen in NRW haben eigene BNE-Netzwerke aufgebaut, um Bildungseinrichtungen, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteure zusammenzubringen. Beispiele sind das BNE-Portal NRW und regionale Initiativen in Bochum, Essen, Hagen, Hamm sowie in den Kreisen Recklinghausen und Unna (https://www.bne.nrw/agentur/landesnetzwerk/regionalzentren/).
Das eingangs beschriebene Forschungsprojekt, dessen Daten das vorliegende Kapitel nutzt, stand im Kontext der Bemühungen des BMBF. Dabei ging es um BNE als pädagogisches, nicht als politisches Konzept. Letzteres dreht sich um die Frage, was (z. B.) Kommunen tun können, damit BNE-Angebote in ausreichendem Umfang und in gebotener Vielfalt zur Verfügung stehen. Im Projekt stand die Frage im Mittelpunkt, was einen BNE-Akteur ausmacht und wann ein außerschulisches Bildungsangebot als BNE-Angebot zu sehen ist, wobei es wie bereits beschrieben nicht um die Einzelangebote ging. Das im Zuge des Projekts entwickelte Befragungsinstrument (Tabelle 7.3) sollte im Wesentlichen zwei Funktionen erfüllen, nämlich Informationen zum Angebot im Rahmen der außerschulischen Bildung erheben und zugleich geeignet sein, BNE-Akteure zu identifizieren. Es ging also neben dem Aspekt der außerschulischen Bildung um die Beschreibung des Ist-Zustandes der Verbreitung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Metropole Ruhr.
Ein einfaches Vorgehen hätte dabei sein können, lediglich danach zu fragen, ob die Akteure ein BNE-Zertifikat erworben haben. Akteure mit Zertifikat wären dann BNE-Akteure. Tatsächlich stellt der Fragebogen die Frage nach der BNE-Zertifizierung, verfolgt aber insgesamt einen mehrstufigen Ansatz, indem der sog. ganzheitliche BNE-Ansatz („Whole Institution Approach“) herangezogen wurde (UNESCO 2020, S. 28; Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017).
Danach kennzeichnet BNE-Akteure, dass sie über ein BNE-Bewusstsein verfügen, also beispielsweise BNE im Leitbild verankert haben, den Begriff selbstreferenziell verwenden oder in ihrer Tätigkeit aktiv auf die Nachhaltigkeitsziele der verweisen. Zudem zeichnet BNE-Organisationen, die einem ganzheitlichen BNE-Ansatz folgen, aus, dass sie vernetzt sind und mit kommunalen oder anderen Partnern kooperieren. Schließlich ist von Bedeutung, dass die Bildungsangebote BNE-Kriterien entsprechen. Zentral sind dabei die Aspekte der Multidimensionalität (d. h. mehrere Nachhaltigkeitsdimensionen werden gleichzeitig angesprochen), der Multiperspektivität (d. h. verschiedene Sichtweisen – z. B. lokal und global, inter- und intragenerationell – werden integriert), der öffentlichen Zugänglichkeit der Angebote sowie deren Nachhaltigkeit bei der Finanzierung. Agenda 2030
Insgesamt wurden neun BNE-Merkmale identifiziert und das Befragungsinstrument so gestaltet, dass aus den Antworten ersichtlich wird, wie stark die jeweilige Organisation auf die BNE-Aspekte einzahlt:
1) Das Bildungsangebot ist öffentlich zugänglich. (Frage 1: „Ja“)
2) Das Angebot bezieht sich auf BNE-Themen; die Bildungsarbeit zahlt auf ein. (Frage 6: „Vermittlung der SDGs / Sustainable Development Goals“) Agenda 2030
3) Es liegt eine selbstreferenzielle Nutzung des BNE-Begriffs vor. (Frage 4: „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“)
4) Die Multidimensionalität des Angebots ist gegeben. (Frage 7: „Ja, …“)
5) Es gibt Partizipationsmöglichkeiten der Lernenden. (Frage 8: „Ja, …“)
6) Das Angebot erfolgt regelmäßig/dauerhaft. (Frage 9: „Ja, …“)
7) Es existieren Kooperationsbeziehungen mit Netzwerken, Kommunen etc. (Frage 3: „Netzwerke/Kooperationsstrukturen“)
8) Eine BNE-Zertifizierung ist erfolgt oder beantragt. (Frage 13: „Ja“)
9) Die Finanzierung ist nachhaltig gesichert. (Frage 11)
Die Feldphase lief vom 26.10. bis 16.11.2022 und wurde über ein RVR-eigenes Befragungstool in zwei Einladungswellen umgesetzt. Da viele – vor allem kleinere Organisationen – personenbezogene Daten in ihrer Internetpräsenz anführten, wurden solche Organisationen aus Datenschutzgründen nicht befragt. So wurden schließlich etwa 8.000 recherchierte Akteure eingeladen. 375 Organisationen haben auf die Befragung geantwortet (Rücklaufquote ca. 4,7 %), was angesichts der heterogenen Zielgruppe und der abstrakten Thematik für eine Onlinebefragung ein respektables Ergebnis ist (vgl. Freiburg im Breisgau, 2022). Ein großer Teil der Befragten gab in Frage 14 den Namen und Ort der Organisation an, sodass zu 316 Antworten der Akteurstyp bekannt ist (Abbildung 7.7).
Gemessen an der Gesamtzahl der Befragten ist der Rücklauf relativ klein. Aber viele der Institutionen, die geantwortet haben, zeigen eine hohe Affinität zum Thema BNE: Lässt man zunächst den Punkt der nachhaltigen Finanzierung beiseite, erfüllen ca. 45 % der Organisationen (168) mehr als sechs der acht übrigen BNE-Kriterien (Abbildung 7.8). Zu dieser Gruppe zählt der überwiegende Teil (92 %) der Organisationen, die nach eigener Angabe bereits einen Zertifizierungsprozess durchlaufen haben, sich in einem Zertifizierungsverfahren befinden oder eine Zertifizierung absehbar anstreben.
Das durchschnittliche Ergebnis über alle Antworten hinweg liegt bei 5,75 Punkten (von 8). Abbildung 7.9 zeigt die durchschnittlich erreichten Punkte nach Akteurstypen. In der Abbildung sind nur Akteurstypen aus Abbildung 7.7 enthalten, deren Anzahl mindestens drei ist. Als potenzielle BNE-Akteure können die ersten sechs Gruppen bezeichnet werden, allen voran – und durchaus plausibel – natur-, wald- und erlebnispädagogische Einrichtungen. Interessant ist auch, dass mit den Volkshochschulen, Verbraucherzentren und Zoos, Parks und Gärten überwiegen kommunale Betriebe unter den BNE-Akteuren sind. Dass Theater in dieser Gruppe sind, zeigt den hohen Stellenwert kultureller Bildung bei der Umsetzung der im BNE-Konzept angelegten Transformation der Bildung. Größere Bedeutung für das BNE-Thema haben offenbar auch Infrastruktureinrichtungen: Tatsächlich gibt es im Ruhrgebiet große Infrastruktureinrichtungen wie z. B. die Emschergenossenschaft, die im BNE-Bereich sehr aktiv sind.
Die Liste kann als Orientierung dienen, welche Gruppen strategische Partner von Land und Kommunen bei der Umsetzung ihrer BNE-Konzepte sein könnten. Oder sie kann Anhaltspunkte geben, welche Gruppen ggf. noch besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Dabei stehen insbesondere Sportvereine und religiöse Einrichtungen als große und wichtige außerschulische Akteursgruppen im Fokus. Differenziert man die Gruppe der potenziellen BNE-Akteure nach dem Kriterium der nachhaltigen Finanzierung (Abbildung 7.10), wird jedoch deutlich, dass nur die Angebote von 60 der 168 Organisationen (35,7 %) länger als vier Jahre finanziell gesichert sind. Oder anders ausgedrückt: In einem Worst-Case-Szenario könnten mehr als zwei Drittel der Angebote BNE-affiner Organisationen innerhalb einer Legislaturperiode aus finanziellen Gründen wegbrechen.