Bildungsbericht Ruhr 2024

Frühe Bildung

Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey
Dr. PH Sabine Wadenpohl

Elternbeiträge: unterschiedliche Betreuungskosten, unterschiedliche Bildungsbeteiligung?

Der hohe Anteil von Kitas in herausfordernden Lagen spiegelt den hohen Anteil von Familien mit geringem Einkommen im Ruhrgebiet. Umso dringender stellt sich die Frage, wie der Zugang dieser Familien zur Kindertagesförderung gesichert werden kann. Studien zur Teilhabe zeigen erhebliche sozioökonomische Unterschiede vor allem bei unter Dreijährigen, aber auch im Ü3-Bereich setzt sich diese Problematik fort (Fischer et al., 2024). Ein möglicher Faktor, der den Zugang von Familien zu Kitas beeinflussen kann, sind die Betreuungskosten. Allgemein wird in einschlägigen Studien – insbesondere im Ü3-Bereich – ein nur geringer Einfluss der Elternbeiträge auf die Bildungsbeteiligung ermittelt; bei Eltern mit geringem Einkommen sieht das jedoch anders aus (Fischer et al., 2024). In Nordrhein-Westfalen müssen die Kommunen die Höhe der Elternbeiträge zwar nach Einkommen staffeln (§ 51 Abs. 4 KiBiz), jedoch gibt es erhebliche interkommunale Unterschiede mit Blick auf die Höhe, die Differenzierung der Stufen für die Staffelung und die untere Einkommensschwelle, ab der ein Beitrag erhoben wird. Aktuelle Analysen (Neimanns & Bremer, 2024) deuten darauf hin, dass diese Unterschiede relevant für die Bildungsbeteiligung sind: In Kommunen mit hohen Elternbeiträgen für Familien mit niedrigen Einkommen sind die Betreuungsquoten geringer – und die Elternbeiträge liegen in finanzschwachen Kommunen oft höher als anderswo. Da Familien, die Transferleistungen (bspw. SGB II) beziehen, nach § 90 Abs. 4 SGB VIII beitragsfrei gestellt werden müssen, dürfte das Problem vor allem Eltern mit geringem Erwerbseinkommen betreffen. Zwar haben viele Familien aus dieser Gruppe grundsätzlich einen Anspruch auf Beitragsfreiheit, da § 90 Abs. 4 SGB VIII auch bei Bezug von Wohngeld und Kinderzuschlag anzuwenden ist. Jedoch werden diese Leistungen nicht von allen Berechtigten in Anspruch genommen, und es ist nicht allgemein bekannt, dass ihr Bezug zu einem Anspruch auf Beitragsfreiheit führt.

Im Folgenden wird die Beitragsgestaltung in den Jugendamtsbezirken des Ruhrgebiets analysiert. Anknüpfend an eine Kategorisierung in einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Studie (BMFSFJ, 2020), in der Elternbeiträge für Familien mit einem Jahreseinkommen von 30.000, 60.000 und 90.000 € berechnet wurden, und der Studie von Neimanns & Bremer (2024), die für Nordrhein-Westfalen mittlere Beiträge für Buchungszeiten von 25, 35 und 45 Wochenstunden errechnet haben, enthalten die Abbildungen 2.24 bis 2.27 für die Metropole Ruhr die monatlichen Kitabeiträge für Familien mit einem Einkommen von 30.000 und 90.000 €, jeweils mit einem einjährigen und mit einem über dreijährigen Kind.*Für das letzte und vorletzte Kindergartenjahr vor der Einschulung sind in Nordrhein-Westfalen keine Beiträge mehr zu entrichten. Der hier zugrunde gelegte Beitrag für ein dreijähriges Kind entspricht dem Beitrag, den die Jugendämter für das Kindergartenalter (Ü3) festgesetzt haben, der Beitrag für Einjährige dem U3-Beitrag, wobei die Grenze zum U3-Betrag manchmal mit Vollendung des dritten, manchmal auch mit Vollendung des zweiten Lebensjahres angesetzt wird. Erhoben wurden die monatliche Elternbeiträge (€) zum 30.08.2024 und die Betreuungsquoten, differenziert nach U3 und Ü3, in Jugendamtsbezirken der Metropole Ruhr zum 01.03.2023. Für die Recherche der Elternbeiträge gilt unser Dank Linda Struck.

Die interkommunalen Unterschiede in der Beitragsgestaltung werden sehr deutlich. Bei einem Einkommen von 30.000 € wird in einigen Kommunen gar kein Beitrag fällig, in anderen liegt der über die drei Buchungszeiten gemittelte Monatsbeitrag für Einjährige über 150 €, für Dreijährige erreicht er maximal 80 €. Eltern mit einem Einkommen von 90.000 € zahlen für ein einjähriges Kind einen Beitrag, der mindestens um die 100 € liegt. In den meisten Kommunen übersteigt der Beitrag 300 €, in einzelnen Fällen sind fast 500 € zu entrichten. Auch für diese Einkommensgruppe liegen die Beiträge für Dreijährige niedriger, manchmal gibt es sogar eine Beitragsfreiheit. In der Mehrzahl der Kommunen bewegt sich die Höhe des mittleren Beitrags um die 250 €, in einem Fall werden 350 € überschritten. Im Abgleich der Beitragshöhen mit den Betreuungsquoten bestätigen sich die Ergebnisse anderer Studien: Bei einem hohen Einkommen ist kein Zusammenhang mit den Betreuungsquoten erkennbar, bei geringem Einkommen gehen hohe Beiträge, insbesondere bei unter Dreijährigen, tendenziell mit geringerer Bildungsbeteiligung einher. Dabei ist zum einen zu beachten, dass die in den Abbildungen aufgeführten Betreuungsquoten nicht nach Einkommensgruppen differenziert sind, da dazu keine Daten vorliegen. Wäre eine solche Differenzierung regionalisiert möglich, wären die Auswirkungen der Beiträge auf die Bildungsbeteiligung von Familien mit geringem Einkommen wahrscheinlich noch deutlicher erkennbar. Zum anderen handelt es sich bei der Berechnung, wie oben angesprochen, um mittlere Beiträge. Die Beiträge für einen Ganztagsplatz mit 45 Stunden, der bei einer vollzeitnahen Erwerbstätigkeit erforderlich ist, liegen in den meisten Fällen höher, sodass sich für Familien mit geringen Einkommenserwartungen nicht selten die Frage nach dem Verhältnis von Ertrag und Kosten durch die Aufnahme von Erwerbstätigkeit stellen dürfte.

Handlungsbedarf besteht also nicht bezogen auf generelle Beitragsbefreiungen, wie sie in Nordrhein-Westfalen in den letzten beiden Kindergartenjahren bestehen, sondern vor allem bezogen auf eine gezielte Entlastung von Familien mit geringem Erwerbseinkommen. Da es gerade in Kommunen, die vom wirtschaftlichen Strukturwandel und schwieriger Haushaltslage stark betroffen sind, besonders viele Familien mit geringem Einkommen gibt (zusätzlich zum hohen Anteil an Familien, die wegen des Bezugs von Transferleistungen beitragsfrei gestellt sind), ist der Handlungsspielraum vor allem gerade dort begrenzt, wo der größte Handlungsbedarf besteht. Hier wären Ausgleichsmechanismen auf Landesebene von großem Nutzen.

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