Bildungsbericht Ruhr 2024

Rahmenbedingungen

Prof. Dr. Jörg-Peter Schräpler
Sebastian Jeworutzki

1.3. Familiäre Rahmenbedingungen

Abseits der demografischen Entwicklung, welche die Bildungsnachfrage antreibt, sind die familiären Hintergründe und Lebensbedingungen für die Bildungslaufbahn der Kinder und Jugendlichen maßgeblich. In der empirischen Bildungsforschung wurden insbesondere die ökonomische Situation in der Familie, die Einbindung in soziale Netzwerke und der Bildungshintergrund der Eltern als relevante Faktoren für den individuellen Bildungserfolg bzw. bei ungünstigen Bedingungen als Risikolage identifiziert. In der Bevölkerung sind diese Risikolagen ungleich verteilt. Insbesondere im Hinblick auf den MigrationshintergrundDie Angaben zum Migrationshintergrund stammen aus dem Grundprogramm des Mikrozensus: „Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt oder außerhalb des heutigen Gebietes der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde und seit dem 1. Januar 1950 zugewandert ist oder wer mindestens einen zugewanderten Elternteil hat.“ Informationen zum Migrationshintergrund der Bevölkerung stehen erst ab dem Jahr 2016 zur Verfügung. In der Kommunalstatistik werden z. T. leicht davon abweichende Definitionen verwendet, um den Migrationshintergrund mithilfe der Angaben im Melderegister bestimmen zu können.

In der Jugendhilfestatistik werden bei Kindern die Merkmale „Migrationshintergrund“ und „Familiensprache“ erfasst. Der Migrationshintergrund eines Kindes wird anhand der nicht deutschen Herkunft mindestens eines Elternteils definiert.
Migrationshintergrund
zeigen sich deutliche Unterschiede: Während Kinder in Familien ohne Migrationshintergrund zu 80 % kein bildungsbezogenes Risiko aufweisen, sind es bei Kindern in Familien mit Einwanderungsgeschichte nur 40 %. Kinder in Alleinerziehendenfamilien weisen unabhängig vom Migrationshintergrund sogar nur zu 39 % keine bildungsbezogenen Risiken auf (Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung, 2024).

In der Metropole Ruhr leben 19,3 % der Familien mit Kindern in Alleinerziehendenhaushalten. Bei Familien mit Migrationshintergrund sind es mit 17,8 % etwas weniger.

Dass Kinder in Familien mit Migrationshintergrund aufwachsen, ist Normalität (Abbildung 1.10). Dementsprechend vielfältig ist die finanzielle und soziale Situation der Familien – der Migrationshintergrund alleine ist nicht ausreichend, um die Erfolgsbedingungen von Bildung zu beschreiben. Dennoch zeigt sich, dass Familien mit Migrationshintergrund häufiger bildungsbezogene Risikolagen aufweisen.

Ökonomische Situation der Kinder, Jugendlichen und Familien

Die ökonomische Situation der Familien lässt sich in erster Linie durch das verfügbare Einkommen beschreiben. In Abbildung 1.11 ist das durchschnittliche monatliche Nettoäquivalenzeinkommen nach neuer OECD-Skala für Familien mit Kindern in den Vergleichsregionen dargestellt. Das Äquivalenzeinkommen berücksichtigt, dass es in Haushalten Skaleneffekte gibt (z. B. dadurch, dass bestimmte Gebrauchsgegenstände nur einmal beschafft werden müssen, oder durch den Kauf günstiger Großpackungen an Lebensmitteln) und dass auch die Bedarfe der Haushaltsmitglieder sich unterscheiden und bei Kindern bspw. geringer sind als bei Erwachsenen. Das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen kann so als Wohlstandsindikator dienen. Steht die Einkommensverteilung im Fokus, wird hingegen oftmals das Medianäquivalenzeinkommen betrachtet, das die Höchstgrenze der Einkommen der Hälfte der Bevölkerung mit dem niedrigeren Einkommen beschreibt. Zum Vergleich des Wohlstandes der Regionen ist der Durchschnittswert jedoch sinnvoll, da der Wert nicht nur die Rangfolge, sondern alle Einkommenswerte mitberücksichtigt. Die Durchschnittswerte sind dementsprechend in der Regel höher als der Median. Im Jahr 2022 lag das bundesweite durchschnittliche jährliche Nettoäquivalenzeinkommen mit 28.601 € über dem Medianeinkommen von 25.000 €. Zum Zeitvergleich wurden die Einkommen mit dem gesamtdeutschen Verbraucherpreisindex 2020 deflationiert. Bei der Interpretation der Werte ist zu berücksichtigen, dass auch die Preisniveaus und damit die Kaufkraft regional unterschiedlich ausfallen und sich diese Differenzen etwas relativieren können. Durch dieses vereinfachte Vorgehen wird die größere Belastung der unteren Einkommensgruppen unterschätzt (MAGS NRW, 2023). Auch hier gilt, dass ein Zeitvergleich aufgrund geänderter Methodik im MikrozensusDer Mikrozensus ist die jährliche Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik, bei der ungefähr 1 % der Bevölkerung zu Demografie, Erwerbstätigkeit und Bildung befragt wird. Da es sich beim Mikrozensus um eine repräsentative Zufallsstichprobe handelt, lassen sich die Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung übertragen und erlauben aufgrund der großen Anzahl an Befragten zudem auch regionale Analysen.

Vergleichbarkeit der Angaben aus dem Mikrozensus
Durch Umstellung auf eine neue Stichprobe 2016 ist die Vergleichbarkeit der Mikrozensusergebnisse ab dem Berichtsjahr 2016 mit den Vorjahren (vor 2016) teilweise eingeschränkt. Durch eine neue Auswahlgesamtheit im Jahr 2016 ist anzunehmen, dass größere Haushalte und insbesondere Ehepaare mit Kindern im Mikrozensus in ihrem Niveau geringfügig unterrepräsentiert sind. Diese Unterrepräsentation kumuliert über die Jahre, sodass
bei einer Aktualisierung der Auswahl das Niveau wieder angehoben wird. In der Zeitreihe macht sich diese Niveauanpassung durch eine Zunahme der größeren Haushalte sowie von Ehepaaren mit Kindern bemerkbar. Des Weiteren ist zu vermuten, dass mit der Niveauanpassung von Ehepaaren mit Kindern auch eine Zunahme der Erwerbstätigen einhergeht, da Väter eine generell hohe Erwerbsbeteiligung aufweisen. (Statistisches Bundesamt, 2017).

Der Mikrozensus wird zudem seit 2020 mit einem neuen Erhebungskonzept durchgeführt. Eine differenzierte Beurteilung der Entwicklungen wird zusätzlich durch die Corona-Pandemie erschwert, da für 2020 und teilweise auch 2021 viele Indikatoren entweder gar nicht oder nur in eingeschränkt vergleichbarer Qualität vorliegen. Für das Jahr 2020 sind aufgrund der hohen Ausfallquote von 35 % in der Mikrozensusbefragung keine regionalisierten Ergebnisse verfügbar.
Mikrozensus
ab 2020 nicht ohne Weiteres möglich ist.

Abbildung 1.11 zeigt, dass die Realeinkommen von Familien mit Kindern zwischen 2021 und 2022 in allen Regionen gesunken sind. Es bestehen weiterhin erhebliche Niveauunterschiede zwischen den Regionen. Das höchste Einkommen wird 2022 in den südlichen Metropolregionen Deutschlands, mit großem Abstand in der Region München (2.598 €), erreicht, gefolgt von Frankfurt/Rhein/Main (2.148 €) und der Region Stuttgart (2.086 €). Am unteren Ende liegen die Metropole Ruhr (1.826 €), das Saarland (1.842 €) und Westfalen (1.869 €). Das Rheinland liegt mit 2.007 € weiterhin im Mittelfeld. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass Familien von Alleinerziehenden und Familien mit MigrationshintergrundDie Angaben zum Migrationshintergrund stammen aus dem Grundprogramm des Mikrozensus: „Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt oder außerhalb des heutigen Gebietes der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde und seit dem 1. Januar 1950 zugewandert ist oder wer mindestens einen zugewanderten Elternteil hat.“ Informationen zum Migrationshintergrund der Bevölkerung stehen erst ab dem Jahr 2016 zur Verfügung. In der Kommunalstatistik werden z. T. leicht davon abweichende Definitionen verwendet, um den Migrationshintergrund mithilfe der Angaben im Melderegister bestimmen zu können.

In der Jugendhilfestatistik werden bei Kindern die Merkmale „Migrationshintergrund“ und „Familiensprache“ erfasst. Der Migrationshintergrund eines Kindes wird anhand der nicht deutschen Herkunft mindestens eines Elternteils definiert.
Migrationshintergrund
insgesamt geringere Einkommen aufweisen. Bemerkenswert ist, dass in der Region München sowohl die Einkommen der Alleinerziehenden als auch der Familien mit Migrationshintergrund preisbereinigt leicht gestiegen sind. Im Jahr 2022 liegt das durchschnittliche monatliche Nettohaushaltsäquivalenzeinkommen im Ruhrgebiet für Familien mit Migrationshintergrund bei 1.539 € und für Alleinerziehende nur bei 1.296 €. Im Rheinland, aber auch in Westfalen sind diese Werte im Vergleich höher. Vor allem im Ruhrgebiet tragen damit Alleinerziehende ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko.

Ein weiterer Indikator für ökonomische Risikolagen von Kindern und Familien ist die Quote der unter 15-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). Abbildung 1.13 zeigt die sog. NEF-Quote (Quote der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten). Wie bereits im Bildungsbericht 2020 dargestellt, konzentriert sich die Kinder- und Jugendarmut auf die Großstädte und weite Teile des Ruhrgebiets. Gelsenkirchen weist mit 38 Prozentpunkten trotz einer Verringerung um –2,4 Prozentpunkte weiterhin bundesweit die höchste Quote auf. Mit größerem Abstand folgen Essen mit 29,3 %, Dortmund mit 29 % sowie Duisburg mit 28,7 % und Herne mit 27,8 %. Im Vergleich zu 2018 fallen die NEF-Quoten nicht nur in Gelsenkirchen geringer aus. Auch in anderen Kreisen sank die Quote, besonders stark in Mönchengladbach (–5,3 Prozentpunkte) und Essen (–4,4 Prozentpunkte). In Dortmund und Köln hat sich die Quote hingegen kaum verringert und in einigen Flächenkreisen wie Höxter ist sie sogar gestiegen (+1,5 Prozentpunkte). Bundesweit sind so unter den zehn Kreisen mit den höchsten NEF-Quoten mit Ausnahme von Bremen, Bremerhaven und Wilhelmshaven weiterhin nur nordrhein-westfälische Kreise zu finden.

Der Vergleich der NEF-Quoten der Metropolregionen in Abbildung 1.14 (Seite 32) zeigt, dass die Quoten in vielen Regionen im Gegensatz zum Ruhrgebiet (–2,2 Prozentpunkte) und Berlin (–3,5 Prozentpunkte) weniger stark gesunken sind. In München (+0,3 Prozentpunkte) und Stuttgart (+0,5 Prozentpunkte) stieg die Quote sogar leicht an. Hinsichtlich des Niveaus der Kinderund Jugendarmut zeigen sich jedoch im Vergleich zum Jahr 2018 keine Veränderungen. In den süddeutschen Vergleichsregionen ist die SGB-II-Quote der Minderjährigen weiterhin sehr gering. Auffällig ist, dass der Trend sinkender Quoten, der im letzten Bildungsbericht für Berlin festgestellt wurde, nun – wenn auch weniger stark ausgeprägt – in der Metropole Ruhr zu beobachten ist. Wie bereits im vergangenen Bildungsbericht für Berlin festgestellt wurde, steigt parallel auch im Ruhrgebiet die Anzahl unter 15-jähriger Personen in diesem Zeitraum an (+7 % Prozentpunkte). Ob die Verbesserung der sozialen Lage der Minderjährigen – wie damals für Berlin vermutet – durch den Zuzug ökonomisch stärkerer Bevölkerungsgruppen zustande gekommen sein könnte oder durch den Zuzug von Kindern und Jugendlichen, die andere Transferleistungen erhalten (bspw. Regelleistungen nach dem AsylbLG), kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.

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