Bildungsbericht Ruhr 2024
Rahmenbedingungen
1.3. Familiäre Rahmenbedingungen
Abseits der demografischen Entwicklung, welche die Bildungsnachfrage antreibt, sind die familiären Hintergründe und Lebensbedingungen für die Bildungslaufbahn der Kinder und Jugendlichen maßgeblich. In der empirischen Bildungsforschung wurden insbesondere die ökonomische Situation in der Familie, die Einbindung in soziale Netzwerke und der Bildungshintergrund der Eltern als relevante Faktoren für den individuellen Bildungserfolg bzw. bei ungünstigen Bedingungen als Risikolage identifiziert. In der Bevölkerung sind diese Risikolagen ungleich verteilt. Insbesondere im Hinblick auf den zeigen sich deutliche Unterschiede: Während Kinder in Familien ohne Migrationshintergrund zu 80 % kein bildungsbezogenes Risiko aufweisen, sind es bei Kindern in Familien mit Einwanderungsgeschichte nur 40 %. Kinder in Alleinerziehendenfamilien weisen unabhängig vom Migrationshintergrund sogar nur zu 39 % keine bildungsbezogenen Risiken auf (Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung, 2024). Migrationshintergrund
In der Metropole Ruhr leben 19,3 % der Familien mit Kindern in Alleinerziehendenhaushalten. Bei Familien mit Migrationshintergrund sind es mit 17,8 % etwas weniger.
Dass Kinder in Familien mit Migrationshintergrund aufwachsen, ist Normalität (Abbildung 1.10). Dementsprechend vielfältig ist die finanzielle und soziale Situation der Familien – der Migrationshintergrund alleine ist nicht ausreichend, um die Erfolgsbedingungen von Bildung zu beschreiben. Dennoch zeigt sich, dass Familien mit Migrationshintergrund häufiger bildungsbezogene Risikolagen aufweisen.
Ökonomische Situation der Kinder, Jugendlichen und Familien
Die ökonomische Situation der Familien lässt sich in erster Linie durch das verfügbare Einkommen beschreiben. In Abbildung 1.11 ist das durchschnittliche monatliche Nettoäquivalenzeinkommen nach neuer OECD-Skala für Familien mit Kindern in den Vergleichsregionen dargestellt. Das Äquivalenzeinkommen berücksichtigt, dass es in Haushalten Skaleneffekte gibt (z. B. dadurch, dass bestimmte Gebrauchsgegenstände nur einmal beschafft werden müssen, oder durch den Kauf günstiger Großpackungen an Lebensmitteln) und dass auch die Bedarfe der Haushaltsmitglieder sich unterscheiden und bei Kindern bspw. geringer sind als bei Erwachsenen. Das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen kann so als Wohlstandsindikator dienen. Steht die Einkommensverteilung im Fokus, wird hingegen oftmals das Medianäquivalenzeinkommen betrachtet, das die Höchstgrenze der Einkommen der Hälfte der Bevölkerung mit dem niedrigeren Einkommen beschreibt. Zum Vergleich des Wohlstandes der Regionen ist der Durchschnittswert jedoch sinnvoll, da der Wert nicht nur die Rangfolge, sondern alle Einkommenswerte mitberücksichtigt. Die Durchschnittswerte sind dementsprechend in der Regel höher als der Median. Im Jahr 2022 lag das bundesweite durchschnittliche jährliche Nettoäquivalenzeinkommen mit 28.601 € über dem Medianeinkommen von 25.000 €. Zum Zeitvergleich wurden die Einkommen mit dem gesamtdeutschen Verbraucherpreisindex 2020 deflationiert. Bei der Interpretation der Werte ist zu berücksichtigen, dass auch die Preisniveaus und damit die Kaufkraft regional unterschiedlich ausfallen und sich diese Differenzen etwas relativieren können. Durch dieses vereinfachte Vorgehen wird die größere Belastung der unteren Einkommensgruppen unterschätzt (MAGS NRW, 2023). Auch hier gilt, dass ein Zeitvergleich aufgrund geänderter Methodik im ab 2020 nicht ohne Weiteres möglich ist. Mikrozensus
Abbildung 1.11 zeigt, dass die Realeinkommen von Familien mit Kindern zwischen 2021 und 2022 in allen Regionen gesunken sind. Es bestehen weiterhin erhebliche Niveauunterschiede zwischen den Regionen. Das höchste Einkommen wird 2022 in den südlichen Metropolregionen Deutschlands, mit großem Abstand in der Region München (2.598 €), erreicht, gefolgt von Frankfurt/Rhein/Main (2.148 €) und der Region Stuttgart (2.086 €). Am unteren Ende liegen die Metropole Ruhr (1.826 €), das Saarland (1.842 €) und Westfalen (1.869 €). Das Rheinland liegt mit 2.007 € weiterhin im Mittelfeld. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass Familien von Alleinerziehenden und Familien mit insgesamt geringere Einkommen aufweisen. Bemerkenswert ist, dass in der Region München sowohl die Einkommen der Alleinerziehenden als auch der Familien mit Migrationshintergrund preisbereinigt leicht gestiegen sind. Im Jahr 2022 liegt das durchschnittliche monatliche Nettohaushaltsäquivalenzeinkommen im Ruhrgebiet für Familien mit Migrationshintergrund bei 1.539 € und für Alleinerziehende nur bei 1.296 €. Im Rheinland, aber auch in Westfalen sind diese Werte im Vergleich höher. Vor allem im Ruhrgebiet tragen damit Alleinerziehende ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko. Migrationshintergrund
Ein weiterer Indikator für ökonomische Risikolagen von Kindern und Familien ist die Quote der unter 15-Jährigen in Bedarfsgemeinschaften nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). Abbildung 1.13 zeigt die sog. NEF-Quote (Quote der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten). Wie bereits im Bildungsbericht 2020 dargestellt, konzentriert sich die Kinder- und Jugendarmut auf die Großstädte und weite Teile des Ruhrgebiets. Gelsenkirchen weist mit 38 Prozentpunkten trotz einer Verringerung um –2,4 Prozentpunkte weiterhin bundesweit die höchste Quote auf. Mit größerem Abstand folgen Essen mit 29,3 %, Dortmund mit 29 % sowie Duisburg mit 28,7 % und Herne mit 27,8 %. Im Vergleich zu 2018 fallen die NEF-Quoten nicht nur in Gelsenkirchen geringer aus. Auch in anderen Kreisen sank die Quote, besonders stark in Mönchengladbach (–5,3 Prozentpunkte) und Essen (–4,4 Prozentpunkte). In Dortmund und Köln hat sich die Quote hingegen kaum verringert und in einigen Flächenkreisen wie Höxter ist sie sogar gestiegen (+1,5 Prozentpunkte). Bundesweit sind so unter den zehn Kreisen mit den höchsten NEF-Quoten mit Ausnahme von Bremen, Bremerhaven und Wilhelmshaven weiterhin nur nordrhein-westfälische Kreise zu finden.
Der Vergleich der NEF-Quoten der Metropolregionen in Abbildung 1.14 (Seite 32) zeigt, dass die Quoten in vielen Regionen im Gegensatz zum Ruhrgebiet (–2,2 Prozentpunkte) und Berlin (–3,5 Prozentpunkte) weniger stark gesunken sind. In München (+0,3 Prozentpunkte) und Stuttgart (+0,5 Prozentpunkte) stieg die Quote sogar leicht an. Hinsichtlich des Niveaus der Kinderund Jugendarmut zeigen sich jedoch im Vergleich zum Jahr 2018 keine Veränderungen. In den süddeutschen Vergleichsregionen ist die SGB-II-Quote der Minderjährigen weiterhin sehr gering. Auffällig ist, dass der Trend sinkender Quoten, der im letzten Bildungsbericht für Berlin festgestellt wurde, nun – wenn auch weniger stark ausgeprägt – in der Metropole Ruhr zu beobachten ist. Wie bereits im vergangenen Bildungsbericht für Berlin festgestellt wurde, steigt parallel auch im Ruhrgebiet die Anzahl unter 15-jähriger Personen in diesem Zeitraum an (+7 % Prozentpunkte). Ob die Verbesserung der sozialen Lage der Minderjährigen – wie damals für Berlin vermutet – durch den Zuzug ökonomisch stärkerer Bevölkerungsgruppen zustande gekommen sein könnte oder durch den Zuzug von Kindern und Jugendlichen, die andere Transferleistungen erhalten (bspw. Regelleistungen nach dem AsylbLG), kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.