Bildungsbericht Ruhr 2020

Rahmenbedingungen

Prof. Dr. Jörg-Peter Schräpler
Sebastian Jeworutzki

1.7. Zusammenfassung und Ausblick

Eine aktuelle Studie zur Zukunft des Ruhrgebiets stellt fest, dass der relativ geringe Anteil von Absolvent*innen, Abgänger*innen und Abbrecher*innenIm allgemeinbildenden Schulwesen werden Personen, die die Schule mit mindestens Hauptschulabschluss verlassen, als Absolvent*innen bezeichnet; Abgänger*innen sind Personen, die die allgemeinbildende Schule nach Vollendung der Vollzeitschulpflicht ohne zumindest den Hauptschulabschluss verlassen. Dies schließt auch Jugendliche ein, die einen spezifischen Abschluss der Förderschule erreicht haben. Im Bereich der beruflichen Ausbildung gelten Personen, die einen Bildungsgang mit Erfolg durchlaufen, als Absolvent*innen. Wird ein Bildungsgang vorzeitig bzw. eine vollqualifizierende Ausbildung ohne Berufsabschluss verlassen, handelt es sich um Abbrecher*innen. Diese können gleichwohl die Möglichkeit genutzt haben, einen allgemeinbildenden Schulabschluss nachzuholen. Im Hochschulbereich bezeichnet man Personen, die ein Studium erfolgreich abgeschlossen haben, als Absolvent*innen. Studienabbrecher*innen sind Studierende, die das Hochschulsystem ohne Abschluss verlassen. Personen, die einen Studienabschluss nach dem Wechsel des Studienfachs und/oder der Hochschule erwerben, gelten nicht als Abbrecher*innen.Absolvent*innen mit Fachhochschul- oder Hochschulreife sowie hoch qualifizierten Kräften ein Entwicklungshemmnis für die Wirtschaft des Ruhrgebiets darstellt (Röhl et al., 2018).

Der vorliegende Regionenvergleich kommt ebenfalls zu diesem Ergebnis: Trotz eines starken Zuwachses der Bevölkerungsanteile mit Fachhochschul- bzw. Hochschulreife von 26,9 % im Jahr 2013 auf 32 % im Jahr 2018 bildet das Ruhrgebiet das Schlusslicht. Der Regionenvergleich zeigt u. a. auch, dass im Ruhrgebiet besonders der Anteil der Hochschulabsolvent*innen – trotz eines zu beobachtenden Zuwachses um 2,5 Prozentpunkte auf 12,9 % im Jahr 2018 – gering ausfällt. In den Regionen München, Stuttgart, Frankfurt/Rhein/Main liegt dieser Wert deutlich über 20 %, aber auch das Rheinland und Westfalen schneiden besser ab als die Metropole Ruhr.

Auch bei der Betrachtung der regionalen Wirtschaftsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit liegt das Ruhrgebiet zusammen mit der Region Saarland im unteren Bereich. Ein Blick auf die Dynamik der Arbeitsproduktivität zeigt offensichtlich ein Auseinanderdriften der Regionen. Berlin lag im Jahr 2013 noch erkennbar hinter dem Ruhrgebiet, konnte aber bis 2017 um 13 % zulegen, während das Ruhrgebiet mit nur 6,7 % den niedrigsten Zuwachs aller hier betrachteten Regionen verzeichnet.

Der Strukturwandel hat im Ruhrgebiet zu erheblichen Veränderungen der Erwerbstätigkeitsstruktur geführt. Der Wandel ist aber nicht abgeschlossen. Im Vergleich ist erkennbar, dass in keiner anderen Region in den betrachteten fünf Jahren die Anteile Erwerbstätiger im Produzierenden Gewerbe so stark zurückgegangen sind wie im Ruhrgebiet. Die Anzahl Erwerbstätiger ist hier um 8,1 % gesunken. Die industrielle Produktion hat sich in Nordrhein-Westfalen mittlerweile nach Süd-Westfalen verlagert.

In Bezug auf die ökonomische Situation der Familien fällt auf, dass im Regionenvergleich für alle betrachteten Lebensformen stets das Ruhrgebiet mit einem relativ großen Abstand zu den anderen Regionen die höchsten Anteile an Transferempfänger*innen aufweist. Insbesondere die Alleinerziehenden und Familien mit MigrationshintergrundDie Angaben zum Migrationshintergrund stammen aus dem Grundprogramm des Mikrozensus: „Als Person mit Migrationshintergrund gilt, wer nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt oder außerhalb des heutigen Gebietes der Bundesrepublik Deutschland geboren wurde und seit dem 1. Januar 1950 zugewandert ist oder wer mindestens ein zugewandertes Elternteil hat.“ Informationen zum Migrationshintergrund der Bevölkerung stehen erst ab dem Jahr 2016 zur Verfügung. In der Kommunalstatistik werden z. T. leicht davon abweichende Definitionen verwendet, um den Migrationshintergrund mithilfe der Angaben im Melderegister bestimmen zu können.

In der Kinder- und Jugendhilfestatistik werden bei Kindern die Merkmale „Migrationshintergrund“ und „Familiensprache“ erfasst. Der Migrationshintergrund eines Kindes wird anhand der ausländischen Herkunft mindestens eines Elternteils definiert. Die unterschiedlichen Datenquellen (IT. NRW, Gemeindedatensatz, Statistik der BA), die im Kapitel „Berufliche Bildung“ verwendet werden, definieren die Gruppe derjenigen, die nicht der Gruppe der Deutschen zugerechnet werden können, unterschiedlich. Das führt zu einer eingeschränkten Vergleichbarkeit der Daten.
Migrationshintergrund
tragen ein erhöhtes Armutsrisiko.

Um dem steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften gerecht zu werden, müssen neue Bildungspotenziale sowohl bei den Kindern und Jugendlichen als auch in der Erwachsenenbildung erschlossen werden. Die ansteigenden Schüler*innenzahlen werden den Arbeitskräftebedarf [...] nicht decken können.

Perspektivisch werden alle Regionen mit einer eher ungünstigen demografischen Entwicklung zu kämpfen haben. Es werden voraussichtlich bald Arbeitskräfte fehlen, die die „passende“ Qualifikation aufweisen. Die geburtenstarken Jahrgänge 1950 bis 1965 werden in den kommenden 20 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden und durch deutlich schwächere Geburtenjahrgänge ersetzt. Das Qualifikationsprofil, d. h. die Abstimmung zwischen verfügbaren und benötigten Qualifikationen des Arbeitskräfteangebots, wird in Zukunft besonders relevant sein. Arbeitsmarktprognosen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS], 2013; Maier et al., 2014) sagen übereinstimmend einen steigenden Qualifikationsbedarf bei den Erwerbstätigen voraus. Das Ruhrgebiet steht angesichts dieser Entwicklungen vor besonderen Herausforderungen, dem gerecht zu werden. Die Ausgangsbedingungen sind dabei nicht einfach:

  • Der Anteil an Kindern, die in armen Familien aufwachsen, ist besonders hoch. Zusammen mit der eher ungünstigen finanziellen Situation in den Kommunen sind die privaten und öffentlichen Bildungsinvestitionen eher begrenzt.
  • Die verstärkte Zuwanderung in den vergangenen Jahren sowie die positive Geburtenentwicklung führen voraussichtlich zu weiter deutlich ansteigenden Schüler*innenzahlen im Primar- und Sekundarbereich und stellen die Bildungseinrichtungen vor umfangreiche Integrationsaufgaben. Erforderlich sind Maßnahmen, um den an einigen Schulformen bestehenden Lehrkräftemangel zu beheben.
  • Um dem steigenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften gerecht zu werden, müssen neue Bildungspotenziale sowohl bei den Kindern und Jugendlichen als auch in der Erwachsenenbildung erschlossen werden. Die ansteigenden Schüler*innenzahlen werden den Arbeitskräftebedarf jedoch alleine nicht decken können. Viel Potenzial bietet gerade im Ruhrgebiet eine Erhöhung der Frauenbeschäftigtenquote. Hierzu müssen die geeigneten Rahmenbedingungen (z. B. Ausbau der Kinderbetreuung und Ganztagsschulen, Qualifizierungsmöglichkeiten, bessere Entlohnung etc.) geschaffen werden.

Zugleich weist das Ruhrgebiet aber auch besondere Potenziale auf: Die hohe Dichte an Hochschulen, das umfangreiche Angebot an weiterführenden Schulen, Berufskollegs und Ausbildungsbetrieben bilden Ausgangspunkte, um diese Herausforderungen anzugehen. Vielleicht ist das Ziel, eine Hochqualifizierung wie in den Regionen München oder Stuttgart zu erreichen, derzeit noch eher ein Fern- als ein Nahziel, aber die wichtige Aufgabe, qualifizierte Fachkräfte auszubilden und Bildungsbiografien ohne abgeschlossene Berufsausbildung zu vermeiden, sollten ganz oben auf der Agenda stehen.

Wie wichtig dabei die Zusammenarbeit der Kommunen ist, zeigt sich an den schon heute bestehenden Verflechtungen im Bildungsbereich (vgl. Abbildung 1.26). In welche KiTa oder welche Schule die Kinder im Ruhrgebiet gehen, wird nicht immer entlang der Grenzen der eigenen Stadt entschieden, sondern Eltern, Kinder und Jugendliche und junge Erwachsene nehmen Bildungsangebote aus der ganzen Region wahr.

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